sangerhausen/mz - Die Jacobigemeinde Sangerhausen und der Verein für Geschichte von Sangerhausen und Umgebung hatten am Dienstagabend zu einem Podiumsgespräch mit Sangerhäuser Akteuren aus dem Neuen Forum, Kirche und Parteien zum Thema friedliche Revolution von 1989 eingeladen.

Lokales aus Mitteldeutsche Zeitung vom 19.11.2009

Akteure der Wende sind gegen das Vergessen der Stasizeit.

Podiumsdiskussion, Zeitzeugen berichten vom authentischen Schauplatz.

VON STEFFI ROHLAND; FOTO: MAIK SCHUMAN

Zur Wahl des Tages und des Ortes sagte der Vereinsvorsitzende Helmut Loth: „Diese Symbolik war uns wichtig." Zuvor berichtete Gerd Kowalski, Mitarbeiter von der Stasiunterlagenbehörde Halle, über den Staatssicherheitsdienst der DDR. Es ist auch nach zwanzig Jahren noch ein Gänsehautthema, das mit jeder Ankündigung Publikum anlockt, weil man sich Aufklärung erhofft oder wenigstens Hinweise auf Einflüsse auf die eigene Biografie.

Der Behördenmitarbeiter erläuterte ausführlich die Gründung und den Aufbau des Geheimdienstes des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und dessen Unterschied zum heutigen Verfassungsschutz der Bundesrepublik Deutschland. Daneben berichtete er von deren Aktivitäten bis in das Wendejahr hinein.

Der Arbeitsplan sah zum Beispiel in mehreren Orten des Landkreises die Werbung neuer Inoffizieller Mitarbeiter (IM) vor. Eindruck hinterließen die Bilder von anonymisierten Akten, die von Informanten aus Sangerhausen stammten und in der Kreisverwaltung und Betrieben tätig waren beziehungsweise in der Kirchengemeinde eingesetzt wurden. Einer ließ sich sogar taufen, um an Informationen aus der Kirchengemeinde heranzukommen. Individuelle Schicksale wird man nach wie vor nur durch persönliche Akteneinsicht in der Behörde in Halle nachvollziehen können.

Allerdings warnte Kowalski davor: „Manche müssen verkraften, dass die Ehefrau oder der beste Freund sie bespitzelt haben." Ein solches Erlebnis hatte der Vereinsvorsitzende Helmut Loth. Er sagte: „Einer dieser Informanten hat nach den Demos bei mir zu Hause auf dem Sofa gesessen. Als ich das viele Jahre später gelesen habe, war das nicht angenehm."

Das Podiumsgespräch führten unter der Leitung des Stadtratsvorsitzenden Dankward Vollmer anschließend Gesine Liesong und Klaus Peche, Akteure des Neuen Forums Sangerhausen, die heute noch in der BIS tätig sind, der Vorsitzende des Gemeindekirchenrates, Dietrich Härtel, Ralf Poschmann in Vertretung des Oberbürgermeisters der Stadt und Gerd Kowalski.

Gesprächsthemen waren unter anderem die Ambitionen der Akteure von damals und der Stand der Umsetzung ihrer Ideale. Dabei brachte es Klaus Peche auf den Punkt, der sagte: „Eine friedliche Revolution ist nie zu Ende. Wir müssen sehen, wie wir weiterhin unsere Demokratie erhalten können."

Dass es auch in der heutigen Zeit schwer ist, die demokratischen Rechte umzusetzen, weiß Dietrich Härtel als Kreisvorsitzender des DGB und Betriebsratsvorsitzender.

In der Jacobikirche war noch von den vorangegangenen Montagsgebeten eine Mauer aus Schuhkartons aufgebaut. Darauf stehen die Gedanken der Leute, die sie mit den DDR-Zeit und der Grenze verbinden.
Eine andere Art der Erinnerung sind die Witze von damals im Altarraum, die auf ihre Art an die Mangelwirtschaft und die Führungsriege der Partei erinnern.

Einen speziellen Einblick in die Wendezeit in Sangerhausen erhielten die Besucher bis Januar 2010 auf der Sonderausstellung „... und Dienstags zur Demo!" im Spengler Museum.
Dort wurde auch das Begleitheft von den Vereinsmitgliedern präsentiert.

 

Die Evangelische Kirchengemeinde St. Jacobi und der Verein für Geschichte von Sangerhausen und Umgebung e.V. luden ein zur Veranstaltung

HERBST `89 EINE STADT IM UMBRUCH am Dienstag, 17. November 2009 um 19.00 Uhr in der Jacobikirche Sangerhausen.

Sangerhäuser Akteure aus dem Neuen Forum, Kirche und Parteien beschäftigten sich in einem Podiumsgespräch mit der Zeit der friedlichen Revolution von 1989. Gerd Kowalski von der Stasiunterlagenbehörde Halle gab Erläuterungen zur Rolle der Stasi unter besonderem Blick auf Sangerhausen.

Dr. Dankward Vollmer, Stadtratsvorsitzender, moderierte die Veranstaltung.

Bild: gezeichnet von Jürgen Claus ©

… UND DIENSTAGS ZUR DEMO - DIE FRIEDLICHE REVOLUTION 1989 IN SANGERHAUSEN; Sonderausstellung Spengler-Museum

 

Eröffnung war am Freitag den 16. Oktober 2009 um 18 Uhr, die Ausstellungsdauer lief vom 16. Oktober 2009 bis 10. Januar 2010.

 

Bild: gezeichnet von Jürgen Claus ©

Die friedliche Revolution
1989 liegt 20 Jahre zurück und in den
Medien erinnern viele Beiträge an
diese Zeit, in der für die Menschen in
der DDR alles anders wurde.

Die Sonderausstellung im Spengler-Museum zeichnete mit vielen Bildern und Dokumenten nach, was damals in Sangerhausen geschah.

Beginnend mit
der gefälschten Kommunalwahl
in der DDR am 7. Mai 1989 wurden die Ereignisse in der Stadt chronologischdokumentiert. Zu den Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR war es in Sangerhausen noch ruhig. Am 16. Oktober trafen sich Sangerhäuser Bürger im Pfarrhaus der Evangelischen St. Jacobi-Gemeinde, um erstmals über die Gründung der Bürgerinitiative Neues Forum Sangerhausen zu beraten. Am 2. November fand die erste große Veranstaltung des Neuen Forums Sangerhausen in der Jacobikirche statt.

Die folgenden Diskussionsveranstaltungen und Demonstrationen des Neuen Forums Sangerhausen wurden auf Dienstage gelegt, damit man am Montag nach Leipzig fahren konnte. Der Runde Tisch Sangerhausen unter der Leitung von Superintendent Gottfried Appel nahm seine Arbeit am 19. Dezember 1989 auf und sorgte dafür, dass das öffentliche Leben in Sangerhausen bis zu den ersten demokratischen Wahlen im Frühjahr 1990 trotz aller Umbrüche weiterging.

Die Ausstellung war eine Zusammenarbeit des Spengler-Museums mit dem Verein für Geschichte von Sangerhausen und Umgebung e.V. sowie Sangerhäuser Bürgern, die in dieser Zeit im Neuen Forum oder am Runden Tisch politisch aktiv waren.

Zwei Sangerhäuser Fotografen, Götz Meyer und Wolfgang Steffen, öffneten Ihre Archive für das Projekt.
Schüler des Geschwister-Scholl-Gymnasiums führten Interviews mit Zeitzeugen. Die Unterstützung vieler Mitwirkender machte es möglich, zum 20sten Jahrestag der friedlichen Revolution von 1989 die Ereignisse in Sangerhausen erstmalig zu erforschen, zu dokumentieren und in einer Ausstellung zu präsentieren.

Freitag 16. Oktober 2009, Abends im Spengler-Museum Sangerhausen, ...UND DIENSTAGS ZUR DEMO - DIE FRIEDLICHE REVOLUTION 1989 IN SANGERHAUSENIm Bild: Freitag 16. Oktober 2009, Abends im Spengler-Museum Sangerhausen, Foto: Verein für Geschichte von Sangerhausen und Umgebung e.V.

Es sprachen:
Dr. Dankward Vollmer, Ratsvorsitzender des Stadtrates Sangerhausen
Dietrich Härtel, Sangerhausen, Vorsitzender des Gemeindekirchenrates St. Jacobi Gerhard Ruden, Magdeburg, Landesbeauftragter für die Unterlagen des MfS der DDR
Klaus Peche, Vorsitzender der Bürgerinitiative Sangerhausen e.V. (B.I.S.)
Monika Frohriep, wiss. Mitarbeiterin des Spengler-Museums Sangerhausen
Musik:Stefan Schwarz, Blankenheim/Klosterrode

Welche Auswirkungen hatten die Ereignisse in Polen, in der Sowjetunion, in Ungarn und anderen Ländern auf die Menschen 1989 in Sangerhausen?

Wie gestalteten die Akteure vor Ort die revolutionären Veränderungen?

Ziel der Ausstellung war, die chronologische Abfolge der regionalen Ereignisse der friedlichen Revolution 1989 bis zu den Wahlen im Frühjahr 1990 in Sangerhausen nach zu zeichnen.

Fotos, Zeitungsberichte und Dokumente vermitteln ein Bild dieser aufregenden Zeit des Umbruchs.

Im Rahmen des Geschichtsunterrichts führten Schüler des Geschwister-Scholl-Gymnasiums Interviews mit Zeitzeugen durch.

Ausschnitt des Ausstellungsraumes im Spengler Museum ...UND DIENSTAGS ZUR DEMO - DIE FRIEDLICHE REVOLUTION 1989 IN SANGERHAUSENIm Bild: Ausschnitt des Ausstellungsraumes im Spengler Museum, Foto: Verein für Geschichte von Sangerhausen und Umgebung e.V.

Eine Broschüre mit den Ausstellungsinhalten wurde verwirklicht.

 


Die "Nacht der Denkmale" und der darauffolgenden "Tag des offenen Denkmals" fanden jeweils vom 12.09. bis 13.09.2009 statt, einen Flyer gibt es hier zum herunterladen, die pdf Datei ist 2,20 MB groß (lesbar mit Foxitreader)

Im Bild: "Nacht der Denkmale" Flyer

 

Prediger im Streit der Historiker

Tagung zu Thomas Müntzer auf Burg & Schloss - Verschiedene Sichtweisen standen zur Debatte

Von Peter Lindner Sangerhausen/MZ.

Allstedt/MZ. Eine regionalgeschichtliche Tagung fand im Rahmen der Lutherdekade 2017 am Samstag auf Burg & Schloss Allstedt statt. Eingeladen hatten der Landesheimatbund, der Verein für Geschichte von Sangerhausen und Umgebung, der Schlossbeleuchtungs- und Förderverein sowie der Heimatverein Allstedt.

In der historischen Hofstube und in der barocken Schlosskapelle befassten sich rund 50 Historiker und geschichtlich interessierte Leute mit dem Leben und Wirken von Thomas Müntzer, der 1523 in der damaligen Ackerbürgerstadt Allstedt das Pfarramt übernommen hatte und hier sein Reformationsverständnis entwickelte. Müntzer zählt zu den umstrittensten Persönlichkeiten in der Geschichte Sachsen-Anhalts und auf dem "Prüfstand" der Historiker stand vor allem sein Wirken als Geistlicher, Lehrer und Reformator.

Müntzer, der vermutlich 1490 in Stolberg geboren wurde, war ein Zeitgenosse von Martin Luther und hatte sich nach einer Zeit als Lutheraner bald von den Lehren des Eisleber Professors entfernt und radikalere Visionen und Ansichten verfochten. Mit der Tagung sollte die überregionale Bedeutung Müntzers für die Zeit der Reformation und den weiteren Verlauf der Geschichte beleuchtet werden. Zudem galt es laut Cornelia Wewetzer, Referentin des Landesheimatbundes, darum, mögliche Wissensdefizite zu schließen und unterschiedliche Sichtweisen und Reflexionen zu debattieren.

Im wissenschaftlichen Vortrag des Philosophen und Theologen Wolfram Tschiche wurde ein Bild Müntzers gezeichnet, das sich von der bisherigen Sichtweise auf den Reformator aus DDR-Zeiten freilich ein Stück entfernte und Müntzer nicht mehr nur holzschnittartig vereinfacht als Revolutionär darstellt.
Tschiche hatte seinen Vortrag unter das Motto "Thomas Müntzer als Mystiker, Apokalyptiker und Revolutionär" gestellt. Und so entwickelte sich nach Fragen wie zu Müntzers Verhältnis zur Sexualität (er heiratete bekanntlich eine Nonne) oder ob er ein Ideologe der frühbürgerlichen Revolution war eine angeregte Debatte.
Mit den Antworten klang auch an, dass Geschichte immer ein Kampf der Begriffe sei.

Rainer Böge, Chef des Allstedter Müntzer-Museums, brachte es auf den Punkt: "Wir haben uns versucht, der Person Müntzers zu nähern." Interessant auch seine Sicht auf das Wirken Müntzers: "Sein Leben und Wirken ist immer nur aus seiner Zeit selbst zu verstehen." Betrachte man alles aus heutiger Sicht, könnten sich historische Fehlinterpretationen ergeben. Eine solche Entwicklung gab es nicht nur zu DDR-Zeiten.

Ein wenig konnten die Tagungsteilnehmer dann eintauchen in die Zeit als Müntzer und Luther lebten. Denn ein Streitgespräch zwischen beiden Zeitgenossen mit dem Austausch der damaligen Argumente (nach Originalzitaten) könnte ein weiteres Defizit bei manch einem abgebaut haben. Den Ausklang der wissenschaftlichen Tagung besorgte übrigens der Pianist Arnulf Sokoll aus der Lutherstadt Eisleben mit einem Orgelkonzert. Sokoll ist Mitglied der Chopin-Gesellschaft.

Im Bild: Tagungspause: Helmut Loth, Cornelia Wewetzer, Wolfram Tschiche und Gastgeber Rainer Böge (v.l.), MZ-Foto- Peter Lindner

 
 

Jahreshauptversammlung mit Neuwahl des Vorstandes am 21.02.2009Im Bild: Jahreshauptversammlung mit Neuwahl des Vorstandes am 21.02.2009
Tagungsort war der Ratskeller in Sangerhausen.